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Interviews
Slowfood bei MacDonald. Warum Amy ein Zufall war.
16.03.2008
Eine Goethe’sche Tragödie mit gutem Ausgang und Shakespear’schem Aufbau. Prolog: Das Debüt-Album von Amy MacDonald hab ich letzten Dezember nur gekauft, weil mein Flug in London/Heathrow Verspätung hatte und ich meine verbliebenen Pfund-Münzen anbringen wollte.
Und bevor ich zwofünfzig Sterling für einen grauslichen Kaffee ausgegeben oder mir das hundertste Union-Jack-Kaffeehäferl aus dem Touristen-Shop mit nachhause mitgenommen hätte (das eine Woche später ohnehin beim Abwaschen in der Männer-WG wieder seines Henkels verlustig gegangen wäre), hab ich die verbleibende Stunde im HMV-Shop verbracht, auf der Suche nach günstigen Schnellschuss-Käufen, die sich später sehr, sehr, sehr oft als regelrechte Juwelen erweisen, wenn man sie Jahre später mal auspackt und sich anhört. Und weil ich mich noch dunkel erinnern konnte, dass ich ein paar Tage vorher im winterlichen Cornwall komplett hungover frühmorgens im BBC-Frühstücksfernsehen ein Mädl gesehen hatte, das ein Lied geträllert hat, welches mich trotz Carling-bedingten Schmerzen und bloß halb geöffneten Augen dazu animierte, aufzustehen, Kuli und Zettel zu holen, um den Titel niederzuschreiben („This Is The Life“) hab ich beim billigen Regal in Heathrow dann zugeschlagen: 9,99 hat die CD gekostet. Die Verkäuferin hinter der Buddel hat dann beim Zahlen noch gemeint: „Good choice, mate“. Im Flieger nach Wien hab ich mir das MacDonald’sche Konvolut dann angehört, und es war der perfekte Soundtrack für jene Traurigkeit, die mich immer überkommt, wenn ich die Insel verlassen muss und 25 Minuten nach dem Start in London beim Blick aus dem Airbus (oder der 737, wenn’s wieder mal nur für Ryanair gereicht hat) unten wieder die französische Küste auftaucht und weiß, dass ich eine gute Stunde später im morbiden, unlustigen Wien lande. Zumindest fühlt sich die Stadt die erste Woche danach immer so an. Andererseits: Das Gras ist auf der anderen Seite halt immer grüner, hüben wie drüben. Das darf man nie vergessen.
Vorspiel auf dem Theater
Aufmerksamen LeserInnen ist womöglich aufgefallen, dass besagte CD zwei Tage später als Reisebegleitung in Richtung München fungierte. Gut kombiniert, liebe/r LeserIn: Kollegin T. und ich waren am Weg zu Kate Nash. Nachzulesen.
1. Akt
Zeitbruch. März 2008, Wien. Amy MacDonald war diese Woche im Wiener WUK. Was ich von der Halle halte, ist beim Shout Out Louds-Review nachzulesen. Umso schöner war es, dass aufgrund der Tatsache, dass Amy’s Album am Kontinent erst in derselben Woche released wurde, das WUK halbleer war (Im UK war sie schon ein Jahr vorher Nummer 1 der UK-Album-Charts, hat das Barrowlands in Glasgow ausverkauft, war in Glastonbury und an prominenter Stelle bei einem Dutzend anderer Insel-Festivals). Ich mag nämlich intime Gigs in kleineren Hallen, bei denen man nachher angeben kann, dass man von Anfang an dabei war, wenn eine Band groß wird. Und ja, es lügt jeder, der das nicht ähnlich sieht.
2. Akt/Nacht I
Der Mann, der für Amy im WUK aufgemacht hat, war peinlich. Er heißt Liam Gerner, ist Südaustralier und wäre ein Spitzen-Entertainer, wenn er Musik-Kabarett machen würde. So blieb nur eine halblustige Mischung aus Bruce Springsteen und Jack Johnson. Und obwohl ich mich in Sachen Optik nicht so gern über jemanden auslasse: So eine massive Portion Art Garfunkel war unerträglich. Noch unerträglicher, als Gerner dann eine unpackbar schlechte Cover-Version von Springsteen’s „I’m On Fire“ losließ. An der Tragik dieses Lieds – eine Nummer über Kindesmisshandlung – durfte sich höchstens Johnny Cash vergreifen. Außer ihm und dem Boss aber bitteschön niemand anders. Noch dazu, wenn man, wie im WUK passiert, zwischen jedem (!) Lied den alten Verwechslungsschmäh zwischen Austria und Australia auspackt. Das war bei aller Liebe zum technisch sehr guten Spiel einfach nur übel.
Exkurs
Aber dann……Stage wird dunkel…..
3. Akt/Nacht II
Amy MacDonald lässt schon beim Intro keine Zweifel aufkommen, woher sie kommt: Extrem langes Dudelsack-Intro vom Band, herrlich. Man ist im Kopf sofort in Schottland. Dass sie – ähnlich wie Kate Nash – keinerlei Backkatalog-Portfolio hat, aus dem sie schöpfen kann, ist komplett egal. Da steht eine grad erst 20jährige Frau mit der Akustischen auf der Bühne und fährt beim ersten Lied mit der Stimme einer ausgewachsenen Marlene Dietrich derart weg, dass das Publikum drei Lieder braucht, um zu packen, was da grad passiert. Sehr fein auch die minimalistische Bühne mit einem kleinen Zitat an die Beatles: So schön hat in den letzten Jahren noch keine Band ihr schwarzes Logo auf die weiße Bass-Drum geschrieben.
Dass sie wie Kate Nash erst ein Album draußen hat und ebenso nicht dem „xxx next Top Model“-Klischee entspricht, ist – Verzeihung – einfach nur geil. Sie ist allerdings kein „everybody’s darling“ wie Nash, sondern wirkt die ganze Zeit extrem scheu und unsicher, zumindest während sie singt (und beim Singen NIE ins Publikum schaut).
4. Akt/Nacht III
Ms. MacDonald spielt sich durch ihr ganzes Album. Mit einer komplett unerwarteten Geschwindigkeit, sprich: Alles passiert mindestens doppelt so schnell wie auf dem Album, flankiert von einer für eine recht kleine Bühne verblüffend guten Lightshow und einem Mann, der explizit erwähnt werden muss: Jamie Sefton. Der ist verantwortlich für Amy’s Überstimme, den Bass und die Trompete. Wie Mr. Sefton über sie drübersingt, ist tränendrückend. Er wär allein einen Gig wert. Hiermit kann auch einem Gerücht widersprochen werden, dass Amy MacDonald sich selber mit ihrer Stimme overdubbed: Diese Stimme ist stets Jamie Sefton, so unglaublich es klingt.
Die Zwischenansagen von Ms. MacDonald sind dafür ein Gottesgeschenk: Wenn sie die Gitarre kurz weglegt und mit dem Publikum kommuniziert, passiert der eigentliche Spaß nicht auf der Bühne, sondern in den Augen der offenbar nicht unbedingt auf schottischen Hardcore-Dialekt-getrimmten Wiener audience. Absehbar an diesen Augen hätte sie ebenso gut japanisch, hindi oder suaheli sprechen können – toll! Schön, dass endlich mal wieder jemand auf vorgefertigten „I love you all“-Mist scheißt und von 08/15-Konzert-Ansagen absieht. Und wenn sie dann die Gitarre fürs nächste Lied wieder umgehängt und den ersten Akkord gespielt hat, war eins der Grundgesetze der Musik an diesem Abend bestätigt: Musik braucht keine definierte Sprache. (Anm. d. Autors: Wohl der schlechteste Schlusssatz evah. T’schuldigung.)
Epilog
Tiefpunkt: Das Killers-Cover von „Mr. Brightside“
Höhepunkt: Diese unfassbare, unfassbare, unfassbare, unfassbare, unfassbare Stimme.
Oscar für die beste Nebenrolle goes to: Jamie Sefton.
Amy MacDonald, 11. März 2008 (WUK, Wien)
16.03.2008, 10:41 von Christoph Löger