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Im Land der Riesenmelonen. Das Exit-Festival 2008
15.07.2008
Der Titel mag irreführend sein, aber nein, hierbei handelt es sich weder um einen biederen Reisebericht noch um die Rezension eines Frühwerks von Franz Antel. Viel mehr ist es eine Abenteuererzählung – eine vermeintliche. Denn das erwartete Abenteuer stellte sich nicht ein, fand einfach nicht statt. Manchmal kommt alles anders als man denkt – und doch wie erhofft.
Denn dem Exit-Festival sagt man nach, schlichtweg das Beste seiner Zunft auf dem Kontinent (diesmal die britische Insel miteingeschlossen – die Kollegen dort nehmen sich ja gerne aus, wenn sie von Acts „vom Kontinent berichten“) zu sein.
Dies ist ein Erlebnisbericht, eine Nacherzählung, der Versuch einer Inhaltsangabe über drei ganz besondere Tage. Man rückte aus – etwas ungewiss, aber voll Hoffnung auf positive Überraschungen. Als Auslöser bzw. Inspiration für die viel zitierte Horizonterweiterung darf generelle Enttäuschung über Bekanntes bezeichnet werden. Wenn sich Langeweile hinzugesellt, ergibt das eine gefährliche Mischung, liebe Provinzler, Besserwisser und übercoole Verantwortliche – oder besser „Weisungsberechtigte“?
Serbien ist zwar nach wie vor mit einem eher negativen Image behaftet (dies weiter auszuführen macht wenig Sinn, ist diese Angelegenheit doch vielschichtiger als man es auf tausenden Seiten oder in ebenso vielen Reden erläutern könnte – im Zweifelsfall Peter Handke nach seiner Haltung zur ganzen Problematik fragen und sich danach entrüstet geben), geographisch jedoch alles andere als aus der Welt. Umso nachdenklicher wird man, wenn einem dadurch bewusst wird, wie nahe der Kriegsschauplatz war.
Nur einige Autostunden benötigt man in das Land, welches nach wie vor seine Identität sucht und zugleich gegen Vorurteile kämpft. Viel mehr zu einer Reise, die einen ganzen Tag in Anspruch nimmt, kann das ganze werden, wenn man mit schäbig ausgedruckten Online-Routenplan-Empfehlungen und sonst nicht viel (außer der Vorfreude auf ein unbekanntes Festival, den üblichen Ramsch von Schlafsack über Union Jack und gefrorenem Dosenbier – einer südburgenländischen Spezialität – im Gepäck) auf den Weg macht. Es gilt nur, die Irrwege der ungarischen Puszta zu bewältigen. Pferdekutschen, deren Chauffeure sich im letzten Moment doch noch entschließen, Karl Lagerfelds neuestes Lieblingsstück vulgo neongelbe Warnweste anzulegen. Zwielichtige Schweizer Lieferwagen mit in Bulgarien registrierten Anhängern, die den Eindruck machen, als würden sie sich im nächstbesten Moment selbstständig machen (eine permanente Bremsspur sowie ein ebenso dauerhaftes Quietschen als Indiz). Ganz zu schweigen von den Straßen, denen man nicht nur mit der Bezeichnung Buckelpiste ein Kompliment machen würde (11. Juli 2008 – auch bekannt als der Tag, an dem sich die Sage vom Planschbecken-großen „Schlagloch des Todes“ als nackte Wahrheit herausstellte).
All dies überwunden, bietet sich etwas überraschend ein ganz anderes Bild (die Tatsache, dass man in diesem Moment die Europäische Union verlässt, sollte man sich vielleicht zumindest durch den Kopf gehen lassen) – komfortable Straßen, eine anscheinend florierende Landwirtschaft modernster Prägung (Böse internationale Konzerne haben sich hier verschanzt, um ihren ganz bösen Gen-Fraß gedeihen zu lassen – Achtung, Ironie!) und schlichtweg liebliche Ortschaften. Und hier sind wir auch schon bei der Auflösung angekommen. All jene Leser, die diesen Artikel nur bis hierher überflogen haben, um zu erfahren, was es mit dem vermeintlich bescheuerten Titel auf sich hat, können aufatmen. Des Rätsels Lösung: dutzende Melonenverkäufer in jedem noch so kleinen Dorf sowie in jeder potentiellen Todeskurve der serbischen Schnellstraßen (Autobahnen: Fehlanzeige – zumindest, wenn man sich aus Südostösterreich aufmacht, um Novi Sad einen Besuch abzustatten). Unspektakulär, wird sich so mancher jetzt denken. Nicht ganz, meinen wir – und haben dabei nicht nur die erwartungsgemäß niedrigen Preise im Kopf. Das muss man einfach gesehen (und nach Hause transportiert) haben.
Entsprechend gestärkt und mit großen Erwartungen, trifft man also gegen Abend in einer Stadt ein, die, wenn man es nicht so genau nimmt (was ja einmal erlaubt sein darf), als Berlin des Südens bezeichnet werden kann. Ein bisschen schäbig und nicht gerade schmuck, jedoch zweckmäßig und zeitgemäß. Einkaufsstraßen, die einen, wenn man seinen Blick über die angesiedelten Ketten streifen lässt, vergessen lassen, wo man sich befindet. Und Banken, die einen vergessen lassen, dass man überhaupt Österreich verlassen hat. Expansion in CEE-Länder, hoch soll sie leben!
Mit der Lokalität, nämlich der Festung Petrovaradin hat man eigentlich schon halb gewonnen – ein Anblick, der zu begeistern vermag (sollte man etwas erkennen durch die von der Reise in Sachen Durchsicht etwas in Mitleidenschaft gezogenen Fenster – man hat sie alle geschlossen, um die große Party mitzuerleben und nicht kurz vor dem Ziel einer Kohlenmonoxid-Vergiftung zu erliegen, verursacht vom vor einem fahrenden „Taxi“ bzw. dessen Ausstoß, der mindestens so übel riecht wie er aussieht).
Um zum – für Event-Puristen – Wesentlichen zu kommen: das Exit ist hervorragend organisiert. Egal, welchen Aspekt man einer Prüfung unterzieht – diese Veranstaltung überzeugt auf der ganzen Linie. Hier ist dieser Punkt eigentlich auch schon abgehandelt, da es dazu nicht viel mehr zu sagen gibt – außer weiter auszuführen, wie es gemeint ist.
Ein unvorstellbar hohes Aufgebot an Sicherheitskräften sorgt für einen absolut reibungslosen Ablauf an allen neuralgischen Punkten (Eingang, vor der Bühne, in dunklen Ecken des Geländes etc.). Was für manch erfahrenen Festivalbesucher wie eine Horrorvorstellung wirkt, wird hier anders interpretiert. Denn statt demonstrativer Gewaltbereitschaft von der Seite, die eigentlich da ist, solche durch bestenfalls intelligentere Maßnahmen zu verhindern (ein Jammer, dass dies andernorts nicht möglich ist – sei es durch mangelnden IQ, organisatorische Pleiten oder ansehnliche Vorstrafenregister), kommt nichts anderes als Offenheit und Coolness – was dazu führt, dass einem immer wieder ein Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert wird. Selbst eklatante Verständigungsschwierigkeiten, ausgelöst durch wirklich schlechtes oder gar nicht vorhandenes Englisch, führen nicht zu Troubles jedweder Art. In Zahlen ausgedrückt – gewaltsame Zwischenfälle: 0.
Dies beweist: es geht auch anders. Dass man wirklich keinen einzigen Platz findet, um sich ungestört an irgendeinem abgelegenen Absperrungszaun zu erleichtern, weil einem unerwünscht das Sichtfeld durch neongelbes Plastik mit Klettverschluss erhellt wird, nimmt man in Kauf. Die gewohnt formschönen und nicht gerade geruchsneutralen (zaubern kann man halt auch nicht) Bedürfnisanstalten findet man dafür zuhauf – und zwar weder ausschließlich an einem Punkt oder auf mehreren Plätze, dafür aber in unausreichender Anzahl. Sogar bunt bemalt gab es sie – was zugegebenermaßen nichts am Geruch ändert.
Diese Kunstobjekte fanden sich auf dem Campingplatz des Festivals, welcher zwar etwas abgelegen (eine halbe Stunde Gehzeit kann nach einer durchtanzten Nacht zur Belastungsprobe werden) angesiedelt war, jedoch abgesehen davon keine Wünsche offen ließ. Komplett im Schatten und in ruhiger Lage, dazu inklusive Internetzelt und Mini-Supermarkt – beides zu mehr als fairen, im internationalen (Festival-) Vergleich spottbilligen Preisen. Und so ganz nebenbei befand man sich damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum öffentlichen Donaustrand – Rettungsschwimmer sowie DJ-Lineups und Konzerte den ganzen Tag über inklusive.
So fiel es nicht schwer, die drückend heißen Nachmittagsstunden totzuschlagen, nachdem man selbst als vermeintlich Todgeweihter aus dem Zelt gekrochen ist, um die Sauerstoffzufuhr zu verbessern und sich zur nicht weit entfernten Trinkwasser-Station zu begeben.
Serbisches Wasser besticht, ähnlich wie das britische, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, durch eine dezente Chlornote – was wiederum eine ganz passable Überleitung zur Mehrheit des internationalen Anteil des Publikums offeriert: blass, laut und unerschütterlich. Unserer Lieblingsinsulaner präferieren eben internationalen Billigurlaub, wenn die wichtigste und größte heimische Veranstaltung mit einem sicherlich nicht uninteressanten, aber letztlich doch völlig unpassenden Hiphop-Act als Headliner aufwartet, der sich gerne wichtig macht – und Beachtliches als Produzent leistet, keine Frage. Trotzdem: Exit is the place to be, mate!
Um einige Kilos schwerer (Sonnencreme!) begibt man sich also Richtung Festivalgelände (die meisten zwischen 17 und 19 Uhr) oder zum Camping-Gelände (gerne gegen 8 Uhr Früh), was viele interessante Eindrücke mit sich bringt.
Vermeintlich illegale Straßenverkäufe (Die Top 3: einheimisches Bier in der praktischen 2 Liter-Plastikflasche aus der mit Eiswasser gefüllten Plastikwanne; gekochte Kukuruz a.k.a. Maiskolben; Zigaretten, ganz komfortabel aus der Stange verhökert. Außer Konkurrenz lief der „Orgasm Stimulizer“ inkl. „one free trial“ – ja, das sollte man gesehen haben. Ein kleiner Tipp zur obskuren Form: Das Ding hat auch das Potential, beim Gelingen des Lieblingskuchen seinen Teil beizutragen.) entpuppen sich als absolut regulär – mit Vorbehalt. Letzten Endes haben wir es trotz aufwändiger Versuche nicht geschafft, der Sache auf den Grund zu gehen. Dies mag daran liegen, dass – so hat es den Anschein – alles so läuft wie es eben läuft, solange alle damit zufrieden sind. Aufklärung gibt es zuletzt aufgrund von Sprachbarrieren keine. Andere Mächte scheinen hier im Spiel zu sein. Übrigens: der italienische Regisseur Matteo Garrone erhielt beim diesjährigen Filmestival zu Cannes den großen Preis der Jury. „Gomorrha“ befasst sich mit den Machenschaften der ehrenwerten Gesellschaft im Land des Calcio. Serbien hat auch südliches Flair.
Wandert man also auf der Brücke hinüber auf die andere Seite der Stadt, um die Exit-Festung zu erklimmen, hat man auch einen schönen Blick auf die Pfeiler, welche einst die ursprüngliche Brücke von Novi Sad trugen. Die Schrecken des Krieges sind abgesehen davon jedoch wie weggezaubert. Vielleicht können sie ja doch zaubern, die Serben. Wie auch immer – der Stimmung hätten wohl auch andere Rahmenbedingungen und Eindrücke keinen Abbruch getan. Was vorbei ist, ist vorbei; man lebt im Hier und Jetzt, mit Blick in die Zukunft. Dies mag kitschig klingen, aber ich habe meine Zweifel, ob man dies über die Bürger jedes europäischen Landes sagen kann.
Das mit der Stimmung ist jedoch ein Paradoxon. Allgemein ist sie geradezu unwirklich friedlich, freundlich und ausgelassen – Festivalkultur in ihrer reinsten Form. Ausgerechnet vor der Hauptbühne entwickelte sich bis auf eine Ausnahme (Manu Chao am Samstag, in dieser Hinsicht das Exit-Highlight – jedoch auch nur in dieser Hinsicht) aber nie wirklich ausgelassene Atmosphäre. Gründe dafür zu suchen macht keinen Sinn. An den Darbietungen kann es nicht liegen, denn natürlich traf nicht der äußerst unwahrscheinliche Fall von durch die Bank enttäuschenden Headlinern ein – ganz im Gegenteil. So bewahren sich das Exit und seine Besucher ein kleines Geheimnis.
Die Schlussfolgerung, dass dies mit allgemeinem Kräfte sparen für die Dancing Arena zu tun haben könnte, ist in dieser primitiven Auslegung selbstverständlich naiv und sicher nicht richtig. Der Publikumsmagnet befand sich in beeindruckender Lage – hinter der Main Stage, mittlerweile wieder außerhalb des Areals und zwischen alten Mauern, sodass man sich wirklich in einer altertümlichen Arena wähnt (oder amüsiert an die peinlichen Tanzszenen im zweiten Teil der Matrix-Trologie denken muss).
„Es ist alles sehr kompliziert“, pflegte schon Fred Sinowatz zu sagen (nein, den muss man nicht kennen). Und so wird es schon seine Gründe haben, warum man trotz genereller Abneigung eben jener Musikrichtung bis sieben Uhr Früh in der eben umschriebenen Arena verweilt, um im halbwachen Zustand (diverse Hilfsmittel, um aus dem halbwachen einen vermeintlich wachen zu machen, hätte es natürlich gegeben – wie es sich hier mit der rechtlichen Situation verhält, blieb auch hier ungeklärt) die erste Hälfte des viel umjubelten Sets von 2 Many DJs zu erleben, welche mit „Hey Boy, Hey Girl“ der Chemical Brothers starteten, um später mit Mr. Oizo endgültig alle zum Auszucken zu bringen (es wurde also trotz 24 Stunden Wachsein doch noch einiges bewusst wahrgenommen). Vor ihnen beackerte Laurent Garnier (soll ziemlich bekannt sein) drei Stunden lang nonstop die Plattenteller. Mit „Born slippy“ von Underworld (ja, der legendäre Track aus „Trainspotting“) erfolgte die fliegende Übergabe an die beiden DJs, die sich trotz Eigenbezeichnung nie im Weg standen.
Der Freitag Abend auf der Main Stage war geprägt von Großbritannien. US Punkfunk-Band The Gossip lieferten – natürlich vor allem dank Sängerin Beth Ditto – ein mehr aus würdiges Aufwärmprogramm für einen der Größten der britischen Musikszene. Paul Weller spielte ein gewohnt dynamisches Set, mit welchem er einmal mehr seine Dringlich- und Wichtigkeit für das gestern, heute und morgen der Musiklandschaft unterstrich.
Die Stimmung im Publikum als „am Siedepunkt“ zu beschreiben wäre eine fahrlässige Übertreibung. Viel eher war sie brav, viel braver als der 50jährige Vollblutmusiker und seine hervorragenden Begleiter auf der Bühne. Trotz einiger Rückkopplungen war der Sound hervorragend und Weller wie immer bestens aufgelegt. Ocean Colour Scene-Mastermind Steve Cradock gab solide die nötigen Impulse an der Gitarre – und für so manche Irritation mit seinem bis oben zugeknöpften grellorangen Poloshirt; Schlagzeuger Steve White (bald bei Oasis mit von der Partie wie einst Bruder Alan?) ist jedoch nicht mehr dabei. Das Sascha Madsen-Double lieferte aber auch ordentliche Arbeit ab.
Aussagekräftig war, was sich abspielte, als Paul Weller seine ruhigeren Nummern anspielte. Während bei den Klassikern „Wild wood“ und „You do something to me“ Mitgrölen angesagt war, gelang es Weller bei „Invisible“ vom neuen, relativ enttäuschenden Album „22 dreams“ nicht, die ansteigende Geräuschkulisse (The Gossip fand jetzt quasi nicht mehr auf der Bühne, sondern davor statt) zu überspielen. Dies scherte ihn jedoch einen Dreck; stattdessen, so schien es, sang er das Stück für sich selbst – es ist wahrlich nicht eines seiner besten, jedoch würde so manch andere Künstler beleidigt abtreten oder auf andere, unartige Weise reagieren.
„Whirlpool’s end“, wohl ganz knapp der beste Song auf seinem besten Album („Stanley Road“), feierte nicht nur ein Live-Comeback, sondern bildete sogar den atemberaubenden Abschluss eines hundert Minuten lang dauerndem Feuerwerk der Spielleidenschaft. Von den älteren The Jam-Stücken gab es weder „That’s entertainment“ noch „A town called malice“ oder „Going underground“, sondern das druckvolle, wenn auch nach wie vor uninspiriert wirkende „Eton rifles“. Überraschender Höhepunkt des Sets war „Shadow of the sun“; ein schlichtweg großartiger Song, der gerne übersehen bzw. -hört wird unter all den großartigen, vor denen es sich (zumindest gedanklich) hinzuknien gilt.
Auch nach Paul Weller blieb die Bühne in britischer Hand, jedoch änderte sich die musikalische Ausrichtung ganz markant. Primal Scream traten an, um – so sollte sich herausstellen, einen beträchtlichen Anteil des Publikums bald wieder zu verjagen. Was war es, was so viele verschreckte? Die aggressiven Songs wie Opener „Accelerator“, welche zu Beginn zum Besten gegeben wurden? Bobbie Gillespie war jedenfalls bestens aufgelegt und der Rest der Band gab sein Bestes, da mithalten zu können.
Wie sich herausstellen sollte, zog es die meisten zur Fusion Stage, um sich von Vibes und positiver Energie betören zu lassen, wo Gentleman und seine Far East Band zum großen Love, Peace & Unity-Happening geladen hatten. Dies hatte zur Folge, dass dieser Bereich des Areals hoffnungslos überfüllt war, während man vor der Main Stage ausgelassen zu den psychedelischen Klängen der Burschen aus Glasgow schäkern konnte.
Ganz anders gestaltete sich die Ausrichtung des zweiten (in Britishrock-Rechnung – unter Berücksichtigung diverser Punkte verzichtete das Team deines Vertrauens auf Präsenz am ersten Abend des Exit08 – wir haben uns aber sagen lassen: N.E.R.D. waren ziemlich fad.) Abends: von World Music über Ethno-Pop bis hin zu Radikalrock lauteten jetzt die Einflüsse bzw. Ausrichtungen der Headliner des Abends. Gogol Bordello, deren Frontman Eugene Hütz sich ja dank seiner Film-Kollaboration vom Insidertipp zum Liebling politisch korrekter Hollywood-Stars gewandelt hat, begeisterten mit ihrem routiniert durchgedrehten, enthusiastischen Polka-Punk. Die Menge tobte, Staub lag in der Luft – Parallelen zum Donauinselfest des letzten Jahres taten sich auf.
Als Juliette & the Licks die Bühne beraten, fühlte man sich gezwungenermaßen an das Frequency-Festival 2007 erinnert, wo die Schauspielerin mit ihren Burschen die Massen ebenso überraschte wie überrannte und begeisterte. Soviel Einsatz wird immer gewürdigt. Die Feder löste sich bald von ihrem ursprünglichen Platz im Haar – ein Signal, dass nun diverse Sicherungen durchbrennen dürfen. Juliette Lewis, die verdammt noch mal endlich als Musikerin wahrgenommen werden möchte, verausgabte sich on stage völlig, ohne dass ihre energetische und zugleich präzise Singstimme darunter litt (eher sorgte die verunglückte Soundmischung für ein ungutes Übergewicht der Gitarren).
Die Einlage am Ende der Show – Instrumentenwechsel und ein gemeinsamer Trommelwirbel (gnadenlos von The Sounds abgekupfert, deren Power jedoch bei weitem nicht erreichte) – war überflüssig und kann als ein Versuch des Zeitschindens interpretiert werden.
Abgesehen davon lieferte man jedoch eine solide Show, die gekonnt demonstrierte, wie sich Rock’n’roll anhören und anfühlen muss. Selbst die Tatsache, dass das Gros des Songmaterials nicht wirklich als markante Glanzlichter in die Musikgeschichte eingehen wird, entfiel dem vorzüglich unterhaltenen Zuschauer. Dass „Hot stuff“ nach wie vor der unbestrittene Höhepunkt der gesamten Darbietung ist, verwunderte jedoch auch niemanden.
Im Anschluss kam beim Set vom globalen Publikumsliebling Manu Chao zum ersten und einzigen Man wirklich ausgelassene Stimmung auf. Musikalisch äußerst monoton und mit wenig wirklich überraschenden Momenten ausgestattet, bleibt es ein Mysterium, was den Mann so überwältigend erfolgreich macht.
Der Sonntag war natürlich vollkommen auf das (erneute) Comeback der Sex Pistols ausgerichtet. Wer einen musikalisch soliden Auftritt von drei biederen Herren mittleren Alters erwartete, lag völlig richtig. Aber zum Glück gibt es da ja noch John Lydon alias Johnny Rotten, der sich einst als Bürgerschreck und Ikone der UK-Punkbewegung einen Namen machte. Im schicken Nachthemd gekleidet wurde eifrig Whiskey gespuckt und schräg geschaut sowie hin und wieder die eine oder andere durchaus seltsame Meldung vom Stapel gelassen. Und zur Abwechslung und allgemeinen Verwirrung leckte sich der ehemalige Bewohner der englischen Ausgabe des Dschungelcamps die Brustwarzen, um „Titties are nice!“ zu jauchzen. Natürlich bekam man alle Hits zu hören, wobei die wenigsten im Publikum mit einem zweiten Zugabenblock rechneten – irgendwie war dieser dann auch zuviel des Guten. Lieber eine eher kürzere Show und etwas mehr Feuer als diese durchgedacht wirkende Darbietung. Man wusste jedoch zu unterhalten, soviel steht fest. Untereinander haben sich die vier Herren mittlerweile überhaupt nichts mehr zu sagen, daraus machte man auch kein Geheimnis – auf der Bühne würdigte man sich keines Blickes.
Was tat sich sonst noch am letzten Abend des Exit08? Wettermäßig blieb alles wie es war – gerechnet hatte man jedoch mit heftigen Regengüssen in den frühen Morgenstunden (also zu einer Zeit, wo man in Novi Sad erst so richtig zu feiern beginnt). Diese sind zwar ausgeblieben; trotzdem waren die Veranstalter vorbereitet, was auch kundgetan wurde. Am Eingang wurde man informiert, worauf man sich wettermäßig einzustellen hat. Und nicht nur das: Man teilte mit, dass im Fall der Fälle für trockene, überdachte Unterkünfte für alle Besucher des Events gesorgt ist. Kostenlos, versteht sich. Dies war ein weiteres, entscheidendes Detail, welches einem klar machte, warum das Festival so einen hervorragenden Ruf hat. Und von der anfangs erwähnten Abstimmung darf sich auch die Monkey Island miteingeschlossen fühlen. Jene im Herzen Europas, die von bedeutend weniger Wasser begrenzt ist, sowieso. Und bis zum nächsten Mal hat man dann auch gelernt, wie das mit dem Crowdsurfen funktioniert.
EXIT FESTIVAL, 10. Juli - 13. Juli 2008 (Novi Sad, SERBIA)
15.07.2008, 20:35 von T. Hochwarter