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Schwarzmalerei. Massive Attack live in Wien
05.08.2008
20 Jahre sind eine lange Zeit, vor allem im - Achtung, Klischee mit Wahrheitsgehalt – schnelllebigen Musikgeschäft. So lange gibt es Massive Attack, das innovative Duo aus dem malerischen Bristol. In den ersten Absatz dieses Texts hat sich ein Fehler eingeschlichen. Nein, das außergewöhnliche Format werkt tatsächlich bereits seit 20 Jahren. Malerisch ist halt was anderes, auch wenn die für Touristen bunt angemalte Hafengegend ganz nett ist.
Robert del Naja und Grantley Marshall werden sich ihre Inspirationen schon von den „richtigen“ Ecken und Endes der einst so wichtigen Hafenstadt bzw. Erlebnissen ebendort geholt haben. Seit dem Beginn ihres Bestehens erfinden sie sich regelmäßig neu, ohne sich dabei zu verkaufen oder ihren eigenen Stil zu verlieren. Zudem hat man im weiten Feld der elektronischen Musik ständig neue Maßstäbe gesetzt, daran besteht kein Zweifel.
„Blue Lines“ (1991) und „Protection“ (1994) waren schon enorm beachtliche Werke, „Mezzanine“ im Jahr 1998 die kommerzielle Krönung. Die Verkaufszahlen schossen in bisher unbekannte und auch völlig unerwartete Höhen, die Band war plötzlich kein Geheimtipp mehr. 1998, als der Britpop am Rande des Abgrunds taumelte, bevor er endgültig das Zeitliche segnete – eingeleitet durch dieses unsägliche Jahr 1997, als Diana ums Leben kam und Tony Blair an die Macht. Als Oasis zwar durchaus erfolgreich mit dem überdimensionalen „Be here now“ protzten, dies aber aus wohlbekannten Gründen gar nicht so richtig mitbekamen. Wenige Monate darauf, im Jahr 1998 eben, erschien „Mezzanine“ – ein ganz einfach starkes Album: betörend, komplex und doch so locker dahinfließend.
Betörend auch das Konzert der Gruppe, samt exzellenter Band versteht sich. Hin und weg war die Masse in der ausverkauften Arena am Ende; enthusiastisch, als es schon zu Ende war nach gut 100 Minuten. Als alles losging, war die Situation noch eine ganz andere.
Das Licht war, um es höflich zu sagen, gedämpft, als die Band die Bühne betrat. Und daran änderte sich während der ersten drei Songs (so ein Zufall aber auch!) nichts. In anderen Worten: es war stockfinster. „Perfekte“ Vorraussetzungen also nicht nur für die Fotografen, die sich – mehrheitlich vergebens – größte Mühe gaben, zu einem respektablen Ergebnis zu kommen. Auch das Publikum konnte wenig anfangen mit diesem Kaltstart.
Das coole „Risingson“, einer der besten Tracks auf „Mezzanine“ sorgte zwar für schaurige Stimmung, jedoch für keine ansprechende Atmosphäre. Und so geriet das fast schon widerwillig dargebotene „Teardrop“ zum Desaster. Bereits als vierter Song wurde der Welthit verheizt. Völlig uninspiriert spulte man dies als Pflichtprogramm ab (es muss sich um das wohlbekannte „Wonderwall“ / „Shiny Happy People“-Syndrom handeln) – der Applaus hielt sich in Grenzen. In weiterer Folge besserte sich aber nicht nur Stimmung im Publikum und Performance der Band, sondern auch die Bühnenshow. Zu spät für die Fotografen, die ihr Gerät in vertrauenswürdige Hände zu legen hatten; rechtzeitig für das Publikum, welches erwachte, um gleich wieder wegzutreten – und zwar in einheitlich schwebende Bewegungen, geradezu erregt von den Rhythmen.
Eine interessante Lichtshow, dessen Mittelpunkt balkenförmige Neoneinrichtungen waren, welche in weiß und rot aufblitzten – nicht häufig, dafür umso effektiver. Schwarz malen und Rot sehen schien nun das Motto zu sein. Interessantes Detail waren die Slogans, welche in zur Aufnahme fast unmöglicher Geschwindigkeit durchhuschten – auf Deutsch. Den einen oder anderen Grammatikfehler hat so mancher Zuschauer doch entdeckt – dies war aber völlig nebensächlich, handelte es sich doch um Aussagen von Tyrannen wie Stalin oder Göring. Spätestens, als die „Highlights“ der Bush-Administration durchliefen, bemerkte der letzte, dass hier sehr politisch zur Sache gegangen wird. Der mittlerweile wirklich guten Stimmung tat dies jedoch keinen Abbruch; dafür sorgten die betörenden Sprechgesänge von Robert del Naja ebenso wie die von der Liveband brillant dargebotenen Stücke von allen Platten der Gruppe.
Nachdem mittels Lichtgrafik die Haupthalle eines Flughafens simuliert wurde – Ankunfts- und Abflugszeiten huschten über die Screens – steigerte sich die Stimmung bei „Unfinished Sympathy“ zum Höhepunkt. Während hier große Harmonie herrschte, wurde der Großteil der anderen, deutlich düstereren Songs gegen Ende hin heftig ausgebaut und äußerst aggressiv interpretiert. Eine Demonstration, wie zeitgemäß das Werk der Band ist. Und der beste Beweis, wie live-fähig Triphop sein kann.
05.08.2008, 23:31 von T. Hochwarter