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"Ich bin bekennender Nichtleser, muss ich gestehen." Tomte am Frequency Festival.
22.08.2006
Er hat nicht viel Zeit, der Herr Uhlmann. Kommt laufenden Schrittes auf die Bühne, ein paar kurze Grußworte an das bereits zahlreich versammelte Publikum. Dann geht’s aber auch schon los mit einer Performance, die von der Songauswahl durchaus als ein Best Of bezeichnet werden kann. Gnadenlos rinnt die Zeit herunter, genau wie der Schweiß im Gesicht des in eine enge Jacke gezwängten Thees Uhlmann.

Zwischendurch die Widmung eines Songs an die Arctic Monkeys, Art Brut und Mando Diao sowie eine äußerst überraschende Ansage („Hier ist kein ‚Rollin’, Rollin’, Rollin’’ mehr! Verprass deine Scheißmillionen, Fred Durst!“). Als ich mich kurz darauf mit diesem harten Kerl – dem Uhlmann – treffe, versichere ich ihm zu allererst, dass bis zum Auftritt der Arctic Monkeys die ganze Sache überstanden ist. Das erfreut ihn sehr. Ebenso entzückt zeigte sich der Grand Hotel Van Cleef – Mastermind später am selben Abend von der skurrilen, höchst unterhaltsamen Show der PopArt-Chaoten Art Brut. Vielleicht gab es da ja ein paar Anregungen für zukünftige Tomte-Konzerte…

Thees, deine Eindrücke vom Flex-Gig (wir hatten Thees im Interview) vor ziemlich genau fünf Monaten?

Dass das glaube ich der staubigste Laden ist, in dem wir jemals gespielt haben. Da lag wahrscheinlich Staub, den schon die Sex Pistols aufgewirbelt hatten, falls sie da einmal aufgetreten sind. Für mich persönlich war es eine ganz besondere, sehr persönliche Angelegenheit, da ich wusste, dass mein Bruder da ist. Den hatte ich damals lange vorher nicht gesehen und Blut ist ja bekanntlich dicker als Wasser.

Was sind die gravierenden Unterschiede zwischen Flex am 15. März, heute hier beim Frequency und in der Arena im Herbst?

Also die Arena kenne ich nicht, jedenfalls habe ich das gerade nicht im Kopf. Eine halbe Stunde Festivalauftritt, das ist schon hart. Man möchte gut sein und das, was man schon lange macht, würdig repräsentieren. Und natürlich hat man ständig die ablaufende Zeit im Hinterkopf – das nervt! Wir hatten auch schon tolle Auftritte bei Festivals, aber das war heute eindeutig zu kurz.

Es fehlt da auch die Zeit, um spontane Konversation mit dem Publikum zu treiben sowie die eine oder andere Anekdote zu erzählen, oder?

Genau! Zum Beispiel hätte ich mir diesmal darüber Gedanken gemacht, wie das bei unserem letzten Frequency war und so weiter. Da fällt mir gerade ein, dass ich da noch mit meiner Ex-Freundin zusammen war. Es wäre mir also in den Kopf geschossen, wie ich mich damals gefühlt habe.

Kettcar hatten gestern ihren Auftritt. Gibt es in so einem Fall eine Art kleinen Wettstreit?

Gar nicht! Das fragen ja so viele Leute! Ich rede glaube ich öfter über sie als die über uns. Jedenfalls ist es wirklich so, als wäre diese Band an mich angenäht, so nahe stehen wir uns.

Der Kollege Wiebusch (Marcus, Kettcar-Sänger, Anm.) hat dir gestern jedenfalls „48 Stunden“ gewidmet…

(reckt triumphierend die Arme in die Höhe, sagt kurze Zeit gar nichts)
Siehst du, das spricht ja für sich. Ich muss dazu aber noch sagen: Ich sehe mich mit Bands die Scheiße sind in Konkurrenz. Da achte ich dann schon drauf, wer wie viel verkauft. Bei Sachen, die ich kulturell für wichtig halte oder mir ein Song richtig gut gefällt, ist das was anderes. Die trag ich gerne durchs Brandenburger Tor, denen vergönne ich von Herzen jeden Erfolg. Da ist mir meine eigene Band total egal.

Wie gefällt dir das neue Madsen-Album?

(nach kurzem Zögern)
Besser als das Erste! Ich halte die derzeitige Situation für problematisch. Die Öffentlichkeit scheint diese Band auserkoren zu haben, um darauf einzudreschen. Wären die aus England, würde das nie passieren. Ich persönlich fühle mich denen besonders verbunden. Ich weiß aber auch, woher sie kommen und warum sie das machen. Außerdem ist das einer Person wie Sebastian Madsen gegenüber total ungerecht. Das geschieht, weil sich gewisse Schreiber profilieren wollen – und das ist hinterfotzig.

Drei Sätze, mit denen sich die letzten Monate beschreiben lassen…

(überlegt lange)
Zum ersten Mal vermisse ich auf Tour so etwas wie Zuhause. Diese Tatsache sorgt unterwegs aber auch für eine besondere Energie. Ich denke nämlich, dass die Konzerte dadurch noch reiner und irgendwie kunstvoller werden. Unser Konzert in Feldkirch vor ein paar Tagen war sicherlich eines der besten, das wir jemals gespielt haben. Kurz bevor es losging habe ich zu mir selber gesagt: Okay, jetzt noch einmal zwei Stunden lang schwitzen wie ein Schwein, danach ab in den Bus, schlafen – und dann bist du zu Hause. Es war wirklich großartig und ich denke, das kam auch so rüber. Außerdem natürlich der Österreich-Faktor!

Ist das so?

Ja, ganz ehrlich.

Wie kann man sich euren Auftritt im Goethe-Institut St. Petersburg vorstellen? Wie hast du das erlebt? Keine Bedenken in Sachen Glaubwürdigkeit?

Ich möchte die Erfahrung keinesfalls missen. Bei derart interessanten Begebenheiten bekommt man auch immer neuen Input. Sich dort länger über Deutschland und Russland zu unterhalten – ich denke, das ist Völkerverständigung, wie man sie sich im besten Fall vorstellt. Und wenn man hört, dass dort mehr Leute Deutsch studieren als Englisch, gibt’s natürlich eine gewisse Connection. Außerdem ist St. Petersburg TwinTown von Hamburg. Interessant war, dass wir dort einen Bodyguard an die Seite gestellt bekamen. Das war ein richtiger Schrank. Der meinte, er bringe uns vom Club wieder zurück ins Hotel. Wir entgegneten natürlich: Das brauchen wir nicht. Er: Doch, das braucht ihr.

Was hat es mit den Buchplänen rund um Tomte auf sich?

Ein Freund von mir, den ich schon zwölf Jahre lang kenne, begleitet uns seit vier Jahren. Irgendwann hat er zu schreiben begonnen – und das erscheint demnächst. Wir beenden die Tomte-Tour im September, ab Oktober gehe ich mit ihm und meiner Gitarre auf Lesereise. Da wird er daraus vorlesen und ich werde dazwischenfunken, wenn ich denke, dass da etwas so nicht stimmt. Und ab und zu werde ich was singen.

Zuletzt hast du mir mit strahlenden Augen geschildert, wie ihr bei MTV TRL hofiert wurdet und wie nett alle zu euch waren. Denkt man darüber nach, warum man gefragt wird, ob man für MTV Masters „on drugs“ zur Verfügung steht?

Ja, darüber habe ich schon nachgedacht. Im nächsten Moment habe ich mir aber gesagt: Natürlich fragen die mich! Weil ich bei Tomte singe!

Wie vertreibst du dir auf Tourneen die Zeit? Was liest du, welche Musik begleitet dich?

Ich bin bekennender Nichtleser, muss ich gestehen. Bücher – Fernsehen für arme Leute, oder? Unseren Bassisten nerve ich immer, indem ich ihn beim Lesen störe. Die meiste Zeit unterhalte ich mich einfach mit verschiedenen Leuten der Crew. DVDs sind auch immer mit dabei, die wir uns aber eigentlich so gut wie nie ansehen. Vor kurzem hatte ich eine fantastische halbe Stunde mit „Apocalypse Dudes“ von Turbonegro im iPod.

Redet man denn überhaupt noch miteinander, wenn man so lange gemeinsam unterwegs und ständig beisammen ist?

Nicht über Musik, da die anderen meinen Musikgeschmack verachten – ich deren aber auch! Ich gestehe ihnen jedoch zu, die Musik zu hören, die sie wollen. Mir ist das jedoch nicht erlaubt.

Gibt es so etwas wie eine Art „musikalische Dummheit“ von dir?

Naja, es gibt Lieder, die man nicht mehr auf der Bühne spielen möchte. Aber jeder Song hat seine Zeit gehabt.


TOMTE, Interview am Frequency Festival 2006 (Salzburg, Salzburgring)  

22.08.2006, 15:29 von T. Hochwarter


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